Ballhof und Nationalsozialismus

Falsches Mittelalter: Der Ballhofplatz erscheint heute als ein idyllischer Rest des alten Hannover. Dabei ist er viel jünger: Der Platz und die umgebenden Häuser sind ein Ergebnis der nationalsozialistischen Altstadtsanierung vor dem Zweiten Weltkrieg.

 

"Hannover. Ballhofplatz mit H J.Heim", Ansichtskarte aus dem Verlag von F. Astholz, Wikimedia Commons, Scan vom Original: Claus-Peter Enders im Team mit Bernd Schwabe vom Wikipedia-Büro Hannover
"Hannover. Ballhofplatz mit H J.Heim", Ansichtskarte aus dem Verlag von F. Astholz, Wikimedia Commons, Scan vom Original: Claus-Peter Enders im Team mit Bernd Schwabe vom Wikipedia-Büro Hannover

Geschichte des Ballhof

Der Ballhof wird um das Jahr 1650 nahe dem Leineschloss für Ballspiele und Feste der Hofadligen errichtet – daher sein Name. Er hat eine bewegte Geschichte: Bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts ist er Hannovers größter Veranstaltungssaal für Schausteller, Theater, Konzerte, Tierschauen, Clubs und Versammlungen. Zusammenkünfte der frühen hannoverschen Arbeiterbewegung finden hier statt. Im Jahre 1867 gründet sich im Ballhof der Ortsverein des „Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein“, ein wichtiger Zweig der späteren SPD. Nach dem Ende der Bismarckschen Sozialistengesetze tritt 1890 der Wahlverein für den 8. hannoverschen Wahlkreis hier neu zusammen. Im gleichen Jahr gründet sich im Ballhof der „Verband der Fabrik-, Land- und gewerblichen Hilfsarbeiter Deutschlands“ als Vorläufer der „Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie“ (IG BCE) – deren Zentrale steht noch heute in Hannover.

Danach wird dem Ballhof von moderneren Sälen in einem besseren Umfeld der Rang abgelaufen: Dem „Tivoli an der Königstraße“, „Volkshaus“ an der Nikolaistraße, „Königsworth“ zwischen Brühlstraße und Andertenscher Wiese, dem „Konzerthaus am Hohen Ufer“, und anderen. In der frühen Weimarer Republik ist der Ballhof ein lokales Zentrum schwul-lesbischen Lebens. Zuletzt Lichtspielhaus, Auktions- und Möbellager, steht das heruntergekommene Gebäude gegen Ende der1920er Jahre kurz vor dem Abriß.

Die Altstadt als Slum

Hannovers Altstadt hat sich seit dem 19. Jahrhundert in weiten Teilen zum Elendsquartier inmitten einer modernen Großstadt entwickelt. Alte Fotografien und Filme zeigen lichtlose Gassen, übervölkerte Fachwerkhäuser und schlechte hygienische Verhältnisse. Bessergestellte Familien ziehen in die neu entstehenden Gründerzeitviertel wie List oder Südstadt. Ärmere Familien bleiben oder kommen neu hinzu – darunter viele Familien der Sinti sowie jüdische Zuwanderer aus Osteuropa, die nach antisemitischen Pogromen eine Zukunft in Deutschland suchen. Ein Beispiel dafür ist die russisch-polnische Familie Grünspan (auch: Grynszpan), die von 1915 bis zu ihrer Vertreibung im Jahre 1938 in der zweiten Etage der Burgstraße 36 lebt. In diese 40qm-Wohnung ohne Bad und mit Toilette im Hinterhof wurden sieben Kinder geboren, von denen vier früh verstarben. Herschel Grünspan wächst hier auf – sein Attentat auf einen deutschen Botschaftssekretär in Paris dient den Nazis als Vorwand für die „Pogromnacht“ 1938.

Alte Pläne – von den Nazis umgesetzt

In den Augen der Nationalsozialisten ist die Altstadt ein Hort von Alkoholismus, Kriminalität und Prostitution sowie Brutstätte des Kommunismus: ein „Sumpf“, den es auszutrocknen galt. Dabei kommt offener Antisemitismus zum Ausdruck: dass „…ein großer Teil der Häuser heute polnischen Juden gehört, die sie im wesentlichen in der Inflationszeit erworben haben. Diese Besitzer haben kein Interesse an der Erhaltung der Häuser gehabt, sondern nur das Interesse, aus der Vermietung möglichst viel herauszuschlagen.“ So Karl Elkart, Stadtbaurat in Hannover 1925-1945, bei einem Vortrag 1936 vor der Sanierung des Ballhofviertels.

Aber die Pläne zur „Gesundung“ der Altstadt sind viel älter. Sie scheiterten an Finanzierungsfragen und zuletzt an der Wirtschaftskrise zum Ende der Weimarer Republik. Nach 1933 nehmen die neuen Machthaber die alten Pläne energisch in ihre Hände. Ziel wird nun auch, durch Abrisse von Gebäuden und Vertreibung der bisherigen Bewohner Raum für politisch zuverlässige und „rassisch wertvolle“ Volksgenossen zu schaffen. Die Öffnung der engen Bebauung gilt als Voraussetzung einer besseren sozialen Kontrolle – durch enge Straßen und die zahlreichen Seiten- und Hinterhäuser in den Höfen ist dieser Bereich der Altstadt zu ca. 84 Prozent überbaut.

„Die Spitzhacke schafft Licht und Luft“…

…titelt am 6. Juni 1936 die nationalsozialistische „Niedersächsische Tageszeitung“. Die erste Etappe der „Altstadtgesundung“ hat bis zum Jahre 1939 dieses Viertel radikal verändert und einen neuen Platz geschaffen. Viele Grundstücke werden von der Stadt Hannover angekauft. Während die Hinterhöfe durch Beseitigung der Seiten- und Hinterhäuser radikal entkernt sind, werden die Vorderhäuser niedergelegt und durch Neubauten auf erheblich vergrößerten Grundstücken ersetzt. Der südliche Teil der engen Ballhofstraße wird ersatzlos abgerissen und dadurch der historische Ballhof freigelegt. Was aus ihm werden soll, ist noch während des Beginns der Sanierungsarbeiten unentschieden. Prominente machen sich für einen Kammermusiksaal oder Vortragsraum stark. Für die Fläche vor ihm sieht die Stadtplanung ursprünglich einen „Schmuckplatz“ mit Rasen, Bäumen, Bänken und Brunnen vor. Daraus wird – ein asphaltierter Appellplatz für Aufmärsche. Denn die uniformierte Staatsjugend benötigt Unterkünfte. Im Dezember 1936 berichtet die Presse erstmalig über den Beschluss, im Ballhof einen Feier- und Versammlungsraum für die Hitler-Jugend einzurichten.

Sanierung als soziale Säuberung

Östlich angrenzend an den historischen Ballhof entsteht als Neubau ein Heim für die Hitlerjugend (HJ), das Fachwerkhaus zur Burgstraße nimmt den Bund Deutscher Mädel (BDM) auf. (Die drei Gebäude dienen heute dem Staatstheater Niedersachsen). In das Eckhaus zur Burgstraße zieht ein Polizeirevier ein, nahe der Kreuzkirche herrscht in der Gaststätte „Kreuzklappe“ die Sturmabteilung (SA). Die ursprünglichen Bewohner des Viertels wurden vor dem Beginn der Sanierung in Schlichtwohnungen nach Mecklenheide und Ricklingen umgesiedelt. Dort bleiben sie auch. Die Neubauten am Ballhofplatz werden vornehmlich von städtischen Angestellten und staatlichen Beamten bezogen – aus Sicht des Regimes gutes „Menschenmaterial“. Baustadtrat Elkart drückt dies 1941 in einer Rede so aus: „Selbstverständlich waren es nicht die, sozial gesehen, wertvollsten Menschen, die in dieser Gegend wohnten. 15 v.H. davon konnten als asozial bezeichnet werden. (…). Alle Dirnen, die in dieser Gegend sehr zahlreich wohnten, wurden schon mit Rücksicht auf die Nähe des HJ-Heimes entfernt“.

Das Herz des angeblichen „Altstadtsumpfes“ ist innerhalb weniger Jahre zu einem Hort von Ordnung und Anpassung geworden. Die Pläne zur weiteren Altstadtsanierung werden nach Kriegsbeginn aufgeschoben. Ihre Aufgabe erledigt so radikal wie unfreiwillig die „Flächensanierung“ durch Bomben. Dabei überstehen durch die Entkernung der Höfe und den sparsamen Einsatz von Fachwerk die Häuser am Ballhofplatz fast als einzige der Altstadt den Bombenkrieg.

Text
Ballhof_Hannover (PDF)

Weitere Informationen online

Wikipedia-Beitrag Der Ballhof
LEMO NS-Organisationen Hitler Jugend (HJ)
Wikipedia-Beitrag Bund Deutscher Mädel (BDM)
Jugend in Deutschland 1918-1945 Jugend im Gleichschritt
Nazi-Zeit: Hitler-Jugend in Hannover
Stadt Hannover: Informationstafel am Ballhofplatz (PDF)

Literatur: Auswahl

Texte und Bildredaktion: Michael Pechel