Kurt Schumacher: Wiederbegründer der SPD

Der ehemalige SPD-Reichstagsabgeordnete Kurt Schumacher wird 1943 aus KZ-Haft nach Hannover eingewiesen. Sofort nach Befreiung der Stadt beginnt er den Wiederaufbau der Partei. Hannover ist für einige Jahre das Zentrum der (west)deutschen Sozialdemokratie. Die SPD-Zentrale in der Odeonstraße trägt seinen Namen: Kurt-Schumacher-Haus.

Hannover: Bleiverglasung im Treppenaufgang des Kurt-Schumacher-Hauses, traditioneller Sitz der SPD im Gebäude Odeonstraße 15/16 in Hannover-Mitte. Foto von Bernd Schwabe in Hannover, 2012. Wikimedia Commons
Hannover: Bleiverglasung im Treppenaufgang des Kurt-Schumacher-Hauses, traditioneller Sitz der SPD im Gebäude Odeonstraße 15/16 in Hannover-Mitte. Foto von Bernd Schwabe in Hannover, 2012. Wikimedia Commons

Aufwachsen in Westpreußen

Kurt Schumacher (1895-1952) wächst in einer Mittelstandsfamilie im westpreußischen Kulm auf. Politisch wird er vom Vater geprägt, der als liberaler Kommunalpolitiker zu einer Minderheit im ansonsten stockreaktionären Westpreußen gehört. Der Junge orientiert sich früh an der Sozialdemokratie und pflegt Freundschaften zu polnischen Mitschülern – die Grenze zum russisch beherrschten Polen ist nur wenige Kilometer entfernt. Bei Kriegsbeginn 1914 meldet er sich bei der ersten Gelegenheit als Freiwilliger und wird bald darauf so schwer verwundet, dass ihm ein Arm amputiert werden muss. Kulm wird nach den Bestimmungen des Versailler Vertrags im Jahre 1920 als Chełmno dem neu entstandenen polnischen Staat zugeschlagen. Kurt Schumacher erlebt die erheblichen deutsch-polnischen Streitigkeiten zum größten Teil vor Ort, da er gerade sein Referendariat am Amtsgericht Culm ableistet – Abschluss eines Jurastudiums an den Universitäten Halle-Wittenberg, Leipzig und Berlin.

Politische Arbeit

Kurt Schumacher tritt im Januar 1918, noch zu Zeiten des Kaiserreichs, in die SPD ein. Als Akademiker gehört er zu einer Minderheit in der Partei – wie er als Sozialdemokrat zu einer Minderheit unter den durchweg stramm deutschnationalen Juristen gehört. Er engagiert sich während der Novemberrevolution im Berliner Arbeiter-und Soldatenrat und ist ab 1920 hauptberuflich SPD-Politiker im Land Württemberg: politischer Redakteur der Stuttgarter SPD-Zeitung, seit 1924 Mitglied im Landtag Württembergs, bald auch im Vorstand der SPD-Fraktion. Seit 1930 leitet er die Stuttgarter SPD. Im gleichen Jahr wird er in den Reichstag gewählt. Schumacher setzt sich früh und kämpferisch mit den Nationalsozialisten auseinander. In einer Reichstagsrede vom Februar 1932 stellt er fest: „Wenn wir irgend etwas beim Nationalsozialismus anerkennen, dann ist es die Tatsache, daß ihm zum erstenmal in der deutschen Politik die restlose Mobilisierung der menschlichen Dummheit gelungen ist.“ Die Nazis merken sich das: Schumacher wird kurz darauf für fast zehn Jahre hinter den Gittern von Konzentrationslagern verschwinden.

Gleichzeitig kämpft Kurt Schumacher gegen die stalinistische KPD, die er als politischen Zwillingsbruder der Nazis sieht. Er wirft ihr die Zerstörung der ersten deutschen Demokratie und eine Spaltung der Arbeiterbewegung vor. Die Gleichsetzung der Extreme von Rechts und Links soll sein politisches Lebensthema werden: Legendär seine Charakterisierung von Kommunisten als „rotlackierte Faschisten“.

Jahre der Verfolgung

Kurt Schumacher arbeitet als Reichstagsabgeordneter im März 1933 mit an der Rede des Fraktionsvorsitzenden Otto Wels gegen das „Ermächtigungsgesetz“ der Nazis: „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht“. In realistischer Einschätzung der Lage setzt er sich parteiintern im Juni 1933 – gegen den Willen der SPD-Führung – für den Gang in die Illegalität ein. Am 6. Juli 1933, gut zwei Wochen nach dem Verbot der SPD, wird Schumacher in Berlin verhaftet. Es beginnt eine Odyssee durch die Konzentrationslager Heuberg auf der Schwäbischen Alb, Oberer Kuhberg bei Ulm, Dachau bei München und Flossenbürg in der Oberpfalz. Im März 1943 wird der Schwerkranke unter Polizeikontrolle an den Wohnort seiner Schwester nach Hannover entlassen. Zwangsweise muss er als Buchhalter bei den (von einem jüdischen Erfinder gegründeten) Sichel-Werken in Limmer arbeiten. Nach dem Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 gehört Schumacher zu den ehemaligen Politikern der Weimarer Republik, die nach Listen verhaftet werden. Über das Gestapo-Gefängnis Ahlem kommt er kurzzeitig in das KZ Neuengamme bei Hamburg. Das Kriegsende erlebt er in Hannover.

Neuanfang in Hannover: „Nach Hitler wir“

Hannover wird am 10. April vom amerikanischen Einheiten befreit. Schon 9 Tage später findet, in einer Wohnung der unzerstörten Jacobsstraße 10 des Arbeiterviertels Linden-Mitte, ein erstes Gespräch Schumachers mit SPD-Genossen der Vorkriegszeit statt. Er ist schwer krank. Aber unbändiger Willen, die Autorität des KZ-Überlebenden und sein großes Organisations- und Redetalent treiben die Wiederbegründung der Partei voran: Am 6. Mai treffen sich etwa 130 Sozialdemokraten im Sitzungssaal des Polizeipräsidiums in Hannover zur Wahl eines provisorischen Parteivorstands. Für die britische Besatzungsmacht zu diesem Zeitpunkt ein illegaler Vorgang! Am gleichen Tag eröffnet in der Wohnung Jacobsstraße auch das „Büro Dr. Schumacher“. Nach Lockerung des Parteiverbots in der britischen Zone folgt die denkwürdige Delegiertenkonferenz vom 5. bis 7. Oktober 1945 im Saal des Bahnhofshotels von Wennigsen am Deister – die Stadt ist traditionell sozialdemokratisch, und im zerbombten Hannover findet sich kein ausreichender Saal. Die Konferenz beauftragt Kurt Schumacher mit der Leitung des Wiederaufbaus der SPD – in den Westzonen. Denn im sowjetisch besetzten Berlin setzen sich Bestrebungen einer „Einheitsfront“ von SPD und KPD durch, die im April 1946 zur (Zwangs)Vereinigung als SED führen. Die Ost-West-Spaltung ist endgültig, als am 10. Mai 1946 Kurt Schumacher in Hannover zum ersten Parteivorsitzenden der SPD nach dem Zweiten Weltkrieg gewählt wird.

Gegenspieler Adenauers

Die Stadt an der Leine bleibt für einige Jahre das Zentrum der Nachkriegs-Sozialdemokratie, und Kurt Schumacher bis zu seinem frühen Tod ihre unangefochtene Führungsfigur: Zuerst von der Lindener Jacobsstraße aus, nach Beseitigung der Zerstörungen im traditionellen Sitz der hannoveraner Sozialdemokratie in der Odeonstraße auf der Rückseite des Gewerkschaftshauses. In der frühen Gründungsphase der Bundesrepublik entwickelt er sich zum eigentlichen Gegenspieler Konrad Adenauers (CDU) und schreckt auch vor dem Ausspielen der nationalen Karte nicht zurück. Sein Beharren auf einer schnellen Wiedervereinigung macht ihn zum scharfen Gegner einer deutschen Westbindung – sein Angriff auf Adenauer als „Kanzler der Alliierten“ bringt ihm 20 Tage Sitzungsausschluss im Bundestag ein. Problematisch ist die Haltung des ehemaligen KZ-Häftlings zur historischen Verantwortung von Wehrmachtsoffizieren und Waffen-SS-Angehörigen. Die Absicht ihrer Integration in die junge Demokratie geht sehr weit – bis zum Treffen Schumachers, Herbert Wehners und Annemarie Rengers mit Otto Kumm, dem letzten Kommandeur der „Leibstandarte Adolf Hitler“ und aktiven Funktionär der rechtsextremen „Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS e. V.“ (HIAG) im Oktober 1951. Die Begründung Schumachers: Angehörige der Waffen-SS hätten kaum nähere Berührungen mit Massenverbrechen gehabt, im Einzelfall gelte die Unschuldsvermutung.

Niederlagen und früher Tod

Bei der Bundestagswahl 1949 wird Kurt Schumacher als Abgeordneter des Wahlkreises Hannover-Süd mit 55 % der Stimmen in den ersten Deutschen Bundestag gewählt – die SPD aber unterliegt knapp der CDU/CSU. Die Partei bleibt bundespolitisch anschließend fast zwei Jahrzehnte in der Opposition. Bei der Wahl des ersten Bundespräsidenten unterliegt Schumacher dem von der CDU mitgetragenen FDP-Mann Theodor Heuss.

Der Kettenraucher Kurt Schumacher erleidet im Jahre 1951 einen Schlaganfall. Am 20. August 1952 stirbt der schwerkranke Politiker in Bonn. Beigesetzt wird er in Hannover auf dem Stadtfriedhof Ricklingen in einem Ehrengrab. Die Überführung von Bonn nach Hannover zieht Hunderttausende an: „An der Grenze Niedersachsens empfingen Jungsozialisten den Trauerzug mit einem Spalier lodernder Fackeln. Zu nächtlicher Stunde wurde dann der Sarg in der Kuppelhalle des Rathauses in Hannover aufgestellt“ – so die  Norddeutschen Nachrichten aus Hamburg am 25. August 1952.

Text Kurt_Schumacher (PDF)

Weitere Informationen online

Wikipedia-Beitrag: Kurt Schumacher
Vorwärts: Vor 75 Jahren: Kurt Schumacher baut die SPD wieder auf
Vorwärts: „Nach Hitler wir!“: Wie die SPD 1945 wieder auferstand
Offenes Archiv KZ-Gedenkstätte Neuengamme: Kurt Schumacher (PDF)
Blog 75 Jahre Gewalt. Mord. Befreiung: Kurt Schumacher hält in Hannover seine erste Rede nach zwölf Jahren NS-Diktatur
LEMO: Biografie Kurt Schumacher
Spiegel Politik: Beinahe-Kanzler Schumacher – Der geschundene Kandidat
NDR Geschichte Wie die SPD nach dem Krieg wieder aufgebaut wurde
DLF Kalenderblatt Ein Titan der Sozialdemokratie
Friedrich-Ebert-Stiftung erinnerungsorte.fes.de/schumachers-beerdigung/

Literatur Auswahl

Texte und Bildredaktion: Michael Pechel