Ehemaliges Jüdisches Gemeindehaus Lützowstraße

Ehemals Zentrum jüdischen Lebens: Anstelle eines banalen Parkhauses stand hier mit dem Gemeindehaus ein Zentrum jüdischen Lebens in Hannover. Architekt Edwin Oppler, der kurz zuvor die Neue Synagoge gebaut hatte, erhielt im Jahre 1875 den Auftrag zum Entwurf.

Hannover: Jüdisches Gemeindehaus Lützowstraße 3, undatiert. Leo Baeck Institute, LBI Photograph Collection, Hannover Community Collection AR 1685
Hannover: Jüdisches Gemeindehaus Lützowstraße 3, undatiert. Leo Baeck Institute, LBI Photograph Collection, Hannover Community Collection AR 1685

Gemeindeleben

Nach der gesetzlichen Gleichstellung vergrößert sich die jüdische Gemeinde in Hannover rasch. Der Bau eines neuen Gemeindehauses folgt dem Anstieg ihrer eingetragenen Mitglieder (1844: 75, 1871: 326, 1914: 1081). In das dreistöckige Backsteingebäude ziehen die Sekretariate der Gemeindeverwaltung und Friedhofsverwaltung, Wohlfahrtsbüro und Gemeindebibliothek. Hinzu kommen Schulräume für den Religionsunterricht sowie eine Dienstwohnung für die Familie des Gemeindesekretärs.

Im Jahre 1925 wird ein zweites Gemeindehaus in der Ohestraße nahe dem Waterlooplatz bezogen. Sein Nebenhaus nimmt einen jüdischen Kindergarten und einen Hort zur Betreuung von Schulkindern auf. Im Vorderhaus befinden sich Einrichtungen der Wohlfahrtspflege wie Armenküche, Kleiderkammer und Krankenschwesternstation.

Gründung einer Volksschule

Im Mai 1935 nimmt eine jüdische Volksschule mit vier Lehrern und 84 Schülern den Unterricht in dem Gebäude Lützowstraße 3 auf. Kinder sollen in einem Umfeld lernen können, das nicht vom zunehmenden Antisemitismus belastet ist. Wenige Jahre später ist sie neben der Volksschule in der Israelitischen Gartenbauschule Ahlem die einzige Schule Hannovers, in der noch jüdische Kinder unterrichtet werden dürfen: Juden wurde deutschlandweit nach der Pogromnacht des 9./10. November 1938 der Besuch staatlicher Schulen verboten, weil es „für deutsche Schüler unerträglich ist, mit Juden in einem Klassenraum zu sitzen“ – so der Reichsminister für Erziehung Bernhard Rust. Weiterführende Schulen sind nun jüdischen Kindern versperrt. Der Besuch berufsbildender Schulen wird nur zugelassen, wenn sie – wie in Ahlem – der Auswanderung dienen.

„Judenhaus“

Zahlreiche Gemeindemitglieder ziehen in den Jahren 1939 und 1940 in das Gebäude Lützowstraße ein, weil sie von ihren „arischen“ Hausbesitzern entmietet worden sind. Deswegen wird im April 1940 die Volksschule in das Gemeindezentrum Ohestraße verlegt und dort der Unterricht bis Anfang September 1941 weitergeführt. Für die Zeit danach hat die Stadtverwaltung eine andere Verwendung für die beiden Gemeindehäuser und 13 weitere jüdische Liegenschaften. Das Gemeindehaus in der Lützowstraße wird eines der 15 „Judenhäuser“ Hannovers. Zum 3. und 4. September 1941 ziehen 125 Menschen in die 11 Räume des Hauses ein: Familien, Ehepaare, Alleinstehende. Fast alle von ihnen verlassen Hannover mit der ersten großen Deportation am 15. Dezember 1941 in das Ghetto Riga, die wenigen Zurückbleibenden werden in andere „Judenhäuser“ zusammengelegt.

Familie Herskovits

Samuel Herskovits (1883-1944) ist seit 1924 Sekretär und seit 1935 auch Oberkantor der jüdischen Gemeinde Hannovers. Wie seine erste Frau Helene geb. Kiss (1894-1939) ist er in Siebenbürgen im heutigen Rumänien geboren. Die Familie bewohnt mit ihren Kindern eine Wohnung im dritten Stock des Gemeindehauses Lützowstraße: der erstgeborenen Margarete (1922-2002) sowie den Zwillingen Ruth (1928-2016) und Eva (1928-1972). Die behinderte Tochter Klara (1924-1940) lebt in einem Kinderheim der Gemeinde auf der Insel Norderney. Ruth und Eva haben bald einen kurzen Schulweg: Nach dem Schulstart in einer städtischen Schule wechseln sie 1935 zum zweiten Schuljahr in die soeben eingerichtete jüdische Volksschule in ihrem Wohnhaus. Angesichts der sich dramatisch verschlechternden Lage der deutschen Juden werden beide zu Anfang des Jahres 1939 mit einem Kindertransport in die vermeintlich sicheren Niederlande gebracht, ihre ältere Schwester Margarete emigriert nach Großbritannien.

Gescheiterte Flucht

Helene Herskovits stirbt 1939 an einer Krankheit. Samuel Herskovits heiratet die verwitwete Mania Münzer (1898-1945), die ihre Tochter Lotte (1925-1944) mit in die Ehe bringt. Wegen einer geplanten Auswanderung werden die Zwillinge nach Hannover zurück geholt – doch die Genehmigung durch die Gestapo Hannover erreicht die Familie erst vier Tage nach dem endgültigen Ausreiseverbot vom 23. Oktober 1941. Bereits vorher muss sie ihre Wohnung im Gemeindehaus – nun „Judenhaus“ – mit zahlreichen Menschen teilen. Nach Zwangsaufenthalten in den „Judenhäusern“ Ohestraße und Jüdische Gartenbauschule Ahlem wird die Familie am 30. Juni 1943 vom Bahnhof Fischerhof in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Zu diesem Zeitpunkt ist Lotte Münzer aus einem Liebesverhältnis mit einem Ahlemer Gärtnerlehrling schwanger, ihr Sohn Denny kommt im Oktober 1943 im Ghetto zur Welt. Mutter und Kind werden ebenso wie Samuel Herskovits im KZ Auschwitz ermordet, Mania im KZ Stutthof. Klara Herskovits starb bereits 1941 in der NS-„Euthanasie“. Die Zwillinge Ruth und Eva überleben die Konzentrationslager Theresienstadt und Auschwitz sowie Außenlager der KZ Groß-Rosen und Neuengamme. Nach langem Aufenthalt in schwedischen Erholungsheimen wandern sie in die USA und Großbritannien aus.

Mit dem Auszug seiner letzten jüdischen Bewohner im Februar 1942 steht das ehemalige Gemeindehaus leer. Ob das Gebäude nach seiner Räumung neue Bewohner bekommt, ist unbekannt. Es wird während des Luftangriffs vom 8. auf den 9. Oktober 1943 vollkommen zerstört.

 

Text Gemeindehaus Lützowstraße (PDF)

Weitere Informationen online

Wikipedia-Beitrag Edwin Oppler
Wikipedia-Beitrag Geschichte der Juden in Hannover
Jugend 1918-1945 Ausgrenzungen
Wikipedia-Beitrag Erziehung im Nationalsozialismus

Literatur: Auswahl

Texte und Bildredaktion: Michael Pechel