An der Beraubung und Verdrängung der jüdischen Bevölkerung war auch die Stadtverwaltung beteiligt. Im Frühjahr 1939 wurden die Juden Hannovers und seiner Umgebung gezwungen, alle Edelmetallgegenstände in ihrem Besitz in das städtische Leihamt am Hohen Ufer zu bringen. Heute steht dort das Historische Museum Hannover.
Verdrängung aus dem Wirtschaftsleben
Die Verdrängung der Juden aus der deutschen Gesellschaft nach 1933 verläuft nach einem einheitlichen Schema: Nach Aktionen von Erniedrigung, Zerstörung und offener Gewalt folgen Gesetzesbestimmungen und Erlasse. Diese sollen dem neu erreichten Stand der Ausgrenzung einen legalen Schein verleihen.
So auch nach dem Novemberpogrom des Jahres 1938. Die Kettenhunde des Nazi-Regimes sind durch Gewalt befriedigt worden, sie haben Synagogen niedergebrannt, Wohnungen zerschlagen und Juden ermordet. Nur zwei Tage nach dem Exzess vom 9./10. November wird bei einer Besprechung mit über 100 Teilnehmern aus NS-Partei und Regierung im Berliner Reichsluftfahrtministerium die endgültige Ausschaltung von Juden aus dem Wirtschaftsleben beschlossen: Ihnen wird der Betrieb von Firmen nach dem Jahresende 1938 untersagt. Jüdische Unternehmen unterstehen nun Treuhändern. Jüdischen Angestellten kann umstandslos gekündigt werden. Wertpapiere müssen auf Sperrkonten festgelegt werden. Eine „Sühneleistung“ von insgesamt einer Milliarde Reichsmark wird als 25-prozentiger Aufschlag zur Einkommenssteuer erhoben, und vieles mehr.
Erzwungene Edelmetallabgabe
Die Stadtverwaltungen werden an der Ausplünderung beteiligt. Eine Anordnung vom Februar 1939 zwingt Jüdinnen und Juden, sämtliche Edelmetalle und Schmuckstücke in ihrem Besitz innerhalb von zwei Wochen bei Ankaufstellen abzuliefern. Dazu bestimmt werden die rund 60 kommunalen Pfandleihanstalten im Deutschen Reich. Das hannoversche Leihamt befindet sich hinter den Mauern des im 17. Jahrhundert gebauten, ehemals welfischen Zeughauses Am Hohen Ufer. Die Einlieferer erhalten einen geringen Teil des Materialwertes ausgezahlt, nachdem die Leihämter eine Verwaltungsgebühr abgezogen haben. Gegenstände unterhalb des Auszahlungswertes von 300 Reichsmark können die Leihhäuser selber erwerben; sie werden den lokalen Innungen der Juweliere und Goldschmiede angeboten oder öffentlich versteigert. Kunstgegenstände wandern in Museen und zu Sammlern. Höherpreisige Gegenstände müssen bei einer Zentralstelle in Berlin abgeliefert werden.
Je näher der Krieg rückt und je desolater sich die deutsche Rohstoffversorgung darstellt, desto öfter gehen die Metallgegenstände den Schmelzanstalten zu. Schätzungen zufolge schicken die Leihämter insgesamt 135 Tonnen Silber und 1,3 Tonnen Gold in die Schmelzöfen. Unfreiwillig müssen Juden die deutsche Kriegsrüstung aufrechterhalten.
Ergänzung von Hannovers Ratssilber
Profiteure dieser Aktion sind neben dem Staat alle Käufer, denen die günstigen Preisen zugutekommen, alle Kunsthändler und Sammler, die einzigartige Wertgegenstände erwerben können. Und oft findet sich in den Verkaufslisten der Leihanstalt als Eintrag: „Oberbürgermeister Hannover“. OB Henricus Haltenhoff kauft mindestens 142 Teile zur Ergänzung des Ratssilbers. Die Silbergegenstände dienen nun zur Repräsentation der Stadt Hannover.
Wenn dabei die Monogramme der Vorbesitzer stören, werden diese durch Gold- und Silberschmiede entfernt und durch das städtische Wappen ersetzt. Anschließend können NS-Größen mit Präsenten günstig gestimmt werden. Aktenkundig ist ein mehrteiliges silbernes Kaffeeservice „dem Herrn Oberpräsidenten SA-Stabschef Viktor Lutze zum 50. Geburtstag in Verehrung gewidmet“. Auch Gauleiterstellvertreter Schmalz, Reichsinnenminister Frick und viele weitere kommen in den Genuss von Raubgut aus vormals jüdischem Besitz.
Text Leihamt_Hannover (PDF)
Weitere Informationen online
BpB Rüdiger Fleiter, Kommunen und NS-Verfolgungspolitik
Wikipedia-Eintrag Henricus Haltenhoff
Literatur: Auswahl
Texte und Bildredaktion: Michael Pechel