Gastwirtschaft Bunte und Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands

In der „Gastwirtschaft Bunte“ mitten in der hannoverschen Altstadt trifft sich in den letzten Jahren der Weimarer Republik die Ortsgruppe der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands SAP. Ziel ist die Einheitsfront gegen die immer stärkere politische Rechte. Nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten geht die Gruppe in den Untergrund, bis sie 1935 zerschlagen wird.

Hannover: Die Agitpropgruppe „Rote Kolonne“ der SAP im Hof der Gastwirtschaft Bunte in der Knochenhauerstraße, Juni/Juli 1932. In der Mitte der hinteren Reihe der Arbeiterfotograf Walter Ballhause. In der mittleren Reihe links Fritz Treu und seine spätere Frau Ilse Rohrer, vorne rechts der Bruder Otto Brenners, Kurt Brenner. Walter-Ballhause-Archiv Plauen
Hannover: Die Agitpropgruppe „Rote Kolonne“ der SAP im Hof der Gastwirtschaft Bunte in der Knochenhauerstraße, Juni/Juli 1932. In der Mitte der hinteren Reihe der Arbeiterfotograf Walter Ballhause. In der mittleren Reihe links Fritz Treu und seine spätere Frau Ilse Rohrer, vorne rechts der Bruder Otto Brenners, Kurt Brenner. Walter-Ballhause-Archiv Plauen

Zwischen SPD und KPD

Die Sozialistische Arbeiterpartei SAP gründet sich im Herbst 1931 als linke Abspaltung von der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands SPD. Anlass ist der Parteiausschluss von neun Reichstagsabgeordneten, die in der beginnenden Massenarbeitslosigkeit nicht mit der Fraktion für den Bau eines Kriegsschiffes stimmen. Um sie sammeln sich weitere Mitglieder der SPD und der Kommunistischen Partei Deutschlands KPD, die von der Politik ihrer Parteien enttäuscht sind und angesichts des aufkommenden Faschismus in Deutschland eine Einheitsfront der Linken vorantreiben wollen. Trotz einer sehr realistischen Einschätzung der politischen Lage kommt die SAP nie über die Größe einer Splitterpartei hinaus, bei den zwei Reichstagswahlen des Jahres 1932 erreicht sie 0,2 bzw. 0,1 Prozent der abgegebenen Stimmen. Heute prominent unter den Mitgliedern sind Willy Brandt aus Lübeck, später Bundeskanzler, und Otto Brenner aus Hannover, später langjähriger IG Metall-Vorsitzender.

Die SAP in Hannover

Im Gegensatz zu Massenparteien wie der SPD ist das Engagement und innerparteiliche Leben in kleinen Parteien meist sehr intensiv. Das zeigt sich auch bei der Ortsgruppe Hannover der SAP. Und ihre Mitglieder sind sehr jung – im Durchschnitt um die 25 Jahre alt. Sehr viele von ihnen haben ihr politisches Leben früh in der Sozialistischen Arbeiterjugend der SPD begonnen, und wechseln dann aus Protest zur SAP.

Ihre Zahl ist klein. Die SAP in Hannover umfasst nur rund 100 Mitglieder, hinzu kommt die gleiche Zahl im Jugendverband. Die hannoversche SPD dagegen zählt um 1933 rund 17.500 Mitglieder, die KPD rund 2.000. Aber der Aktivitätsgrad innerhalb der SAP ist hoch. Jede(r) kennt jede(n). Wöchentliche Schulungskurse finden in einer Privatwohnung statt, Mitgliederversammlungen bei „Bunte“ in der damaligen Knochenhauerstraße 63 (heute ca. Hausnummer 5). Hier gibt es einen Veranstaltungsraum im Hinterhaus, in dem die „Rote Kolonne“ übt und literarische Abende veranstaltet werden. Für Großveranstaltungen wird oft der Saal des „Burghauses“ am nahen Leineufer gemietet.

„Rote Kolonne“

Das Jahr 1932 ist ereignisreich – in Deutschland und Hannover. Bei der Reichspräsidentenwahl vom April erringt Hitler in Hannover knapp 40 Prozent der Stimmen. Bei zwei Reichstagswahlen in einem Jahr unterliegt die SPD in ihrer traditionellen Hochburg Hannover den Nationalsozialisten. Auf den Straßen kommt es ständig zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Links und Rechts. In dieser erhitzten Atmosphäre wirbt die Kleinstpartei SAP mit ca. 60 Veranstaltungen in und um Hannover für eine linke Einheitsfront.

Immer dabei ist die parteieigene Agitprop-Gruppe „Rote Kolonne“ mit politischem Kabarett und Arbeiterliedern. Die in Breslau erscheinende „Sozialistische Arbeiterzeitung“ der SAP berichtet am 22. Juni 1932 im Sprachstil der Zeit von einer Versammlung in Wennigsen am Deister, bei der bereits die Einheitsfront aus SPD, KPD und SAP mit ca. 800 Teilnehmenden verwirklicht worden sei: „Die Revuetruppe „Rote Kolonne“, Hannover, eröffnete mit dem Gruß „Kampfbereit“, mit ihrem Truppenlied und aktuellem politischem Kabarett die Veranstaltung. „Wir stehen gebunden“, doch „das war das Vergangene, die Zukunft sind wir“. Es wirkte wuchtig, es sprach aus allen Herzen“.

Eine Folge von drei Bildern des SAP-Mitglieds und Arbeiterfotografen Walter Ballhause zeigt die Mitglieder der „Roten Kolonne“ im Hinterhof der „Gaststätte Bunte“ mit geballter Faust. Auf einem ist er selber in der letzten Reihe zu sehen. Er hat wohl seine Kamera einer anderen Person in die Hand gedrückt, die – sichtbar ungeübt – die Füße der Personen in der ersten Reihe abschneidet. Abgebildet sind u..a. Fritz Treu und seine spätere Frau Ilse Rohrer (2 u. 3 v.l.) und der jüngere Bruder Otto Brenners, Kurt Brenner (4.v.r.)

Illegaler Kampf

Noch am 27. Januar 1933 spricht im Saal des Burghauses der wichtigste Theoretiker der SAP, Fritz Sternberg, zum Thema „Der Niedergang des deutschen Kapitalismus und die Aufgaben der Arbeiterklasse“. Vier Tage später wird Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Der Terror gegen die Linke nach dem Reichstagsbrand vom 27. Februar trifft auch die SAP mit Verhaftungen und Verbot ihrer Presse, ihr letzter Parteitag in Dresden findet Mitte März bereits in der Illegalität statt.

Während sich die Gewerkschaften Hannovers bereits am 1. Mai 1933 freiwillig auf dem Waterlooplatz unter Hakenkreuzfahnen versammeln, zeigt ein Foto den Rest der lokalen SAP-Mitgliedschaft – ca. 20 Frauen und Männer – bei einer geheimen Maiversammlung unter freiem Himmel im Misburger Holz. Otto Brenner hält als Kurier – teils per Fahrrad – den Kontakt zur illegalen Parteileitung in Berlin und besorgt den Druck und die Verbreitung ihrer Informationen an Mitglieder und Sympathisanten. Die Technik ist zeitgemäß sehr einfach: Er beschreibt Wachsmatritzen auf einer Schreibmaschine, die mit Hilfe u.a. seines Bruders Kurt mit einem Abziehapparat vervielfältigt werden. Otto Brenner und weitere Parteimitglieder in Berlin und Hannover werden bereits im August 1933 von der Gestapo enttarnt. Die nachfolgende Leitung fliegt im September 1934 auf. Der gemeinsame Prozess vor dem Oberlandesgericht Hamm endet 1935 mit teils hohen Zuchthausstrafen, während Otto Brenner vergleichsweise glimpflich mit zwei Jahren Gefängnis davonkommt. Damit findet die illegale Arbeit der SAP in Hannover ein Ende, es bleibt bis Kriegsende bei vorsichtigen persönlichen Kontakten.

Text Gastwirtschaft_Bunte (PDF)

Weitere Informationen online

Wikipedia-Beitrag Sozialistische Arbeiterpartei Deutschland SAP
Wikipedia Beitrag Walter Ballhause
Berufsbildende Schule Metalltechnik • Elektrotechnik der Region Hannover. Otto-Brenner-Schule: Wer war Otto Brenner?

Literatur Auswahl

Texte und Bildredaktion: Michael Pechel