Stadtmodelle im Rathaus Hannover

Vier Stadtmodelle in der Rathaushalle zeigen anschaulich die Entwicklung Hannovers von der kleinen Residenzstadt der Welfen (1689) zur Industriestadt am Vorabend des Zweiten Weltkriegs (1939), von der fast vollständig zerstörten Innenstadt (1945) zur Neugestaltung als „autogerechte Stadt“ (2012).

Hannover: Blick vom Leineschloß zum Neuen Rathaus, 2014. Foto Michael Pechel
Hannover: Blick vom Leineschloß zum Neuen Rathaus, 2014. Foto Michael Pechel

Residenzstadt der Welfen

Die welfischen Landesherren machen Hannover in der Mitte des 17. Jahrhunderts zu ihrer Haupt- und Residenzstadt. Das älteste Modell zeigt die durch Bastionen und Wassergräben wehrhaft gemachte Festung mit dem Fürstenschloss am Hohen Ufer der Leine – heute Sitz des niedersächsischen Landtags. Der Ballhof in der Nähe des Schlosses – zwischen Marktkirche und Kreuzkirche – dient der höfischen Gesellschaft für Veranstaltungen und Vergnügungen, zu Ballspiel, Theateraufführungen und Konzerten. Die Stadt ist durch den Flusslauf der Leine in Altstadt und Neustadt geteilt.

Fürstliche Glaubenstoleranz

Während der Altstädter Stadtrat seit der Reformation ein strenges lutherisches Regiment führt und Angehörige anderer Konfessionen (Katholiken, Juden, Reformierte) ausweist, herrscht in der fürstlichen (Calenberger) Neustadt größere Religionsfreiheit. Die Straße Rote Reihe bildet eine „Meile der Toleranz“ mit Kirchen der Reformierten, Katholiken und ab 1703 einer jüdischen Synagoge.

Eine moderne Industriestadt

Im Modell von 1939 erinnert nur das Gewirr der Altstadtgassen an die mittelalterlichen Ursprünge. Hannover hat sich seit dem 19. Jahrhundert zur Industriestadt mit einer halben Million Einwohnern an einem wichtigen Eisenbahnkreuz entwickelt. Sie ist Sitz bedeutender Unternehmen der Branchen Metall (Hanomag, Eisenwerke Wülfel u.a.), Nahrungs- und Genussmittel (Sprengel, Bahlsen, Appel-Feinkost u.a.), Chemie (Pelikan, Continental u.a.), Textil (Lindener Samt, Döhrener Wollkämmerei u.a.), Elektrotechnik und Unterhaltung (Deutsche Grammophon, Hackethal Draht- und Kabelwerke u.a.).

Die Industrialisierung hat als Folge eine starke, sozialdemokratisch geprägte Arbeiterbewegung mit ihren Zentren in den Stadtteilen Linden, Wülfel, Döhren und Oberricklingen – das große Gewerkschaftshaus an der Goseriede ist Symbol ihrer Macht. Hannovers erster demokratisch gewählter Oberbürgermeister ist in den Jahren 1918 bis 1924 mit Robert Leinert ein Sozialdemokrat.

Sieg des Hakenkreuz

Aber das Modell von 1939 zeigt ein von den Nationalsozialisten beherrschtes Hannover. Bis Ende der 1920er Jahre ist die NSDAP eine rechte Splitterpartei. Noch bei der Kommunalwahl 1929 gewinnt die NSDAP 4,9 Prozent, die SPD 48,6 Prozent der Stimmen. Überdurchschnittliche Erfolge erreicht die Partei wenig später in der Weltwirtschaftskrise. Die letzte halbwegs freie Kommunalwahl Mitte März 1933 – bereits nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler – bringt den Nazis in Hannover 42 Prozent Wählerstimmen. Immerhin noch 32 Prozent entfallen auf die Sozialdemokraten. Aber Unterdrückung der linken und freiwillige Gleichschaltung der bürgerlichen Parteien sorgen für einen schnellen Sieg des Hakenkreuzes in Hannovers Neuem Rathaus.

Wirtschaftsboom durch Kriegsrüstung

Das Jahr 1939 bedeutet auch für Hannover den Beginn des Zweiten Weltkriegs, den die Nationalsozialisten mit dem Überfall auf Polen auslösen. Die Firmen haben sich schon lange auf Kriegswirtschaft umgestellt, es herrscht eine künstliche Hochkonjunktur mit Vollbeschäftigung. Die Produktion der Reifenfabrik Continental – Hannovers größtes Unternehmen – steigert sich von 1933 bis 1938 um das Vierfache, ihre Belegschaft verdoppelt sich. Und die Lindener Hanomag, die statt Personenwagen und Lokomotiven nun Geschütze, U-Boote und Kettenfahrzeuge herstellt, vervierfacht die Zahl ihrer Arbeiter bis 1936 innerhalb von drei Jahren.

Die Synagoge als Symbol

Anders ergeht es jüdischen Unternehmen, die durch Boykottaufrufe und steuerliche Ungleichbehandlung unter Druck geraten und oft zur Geschäftsaufgabe gezwungen sind. Eine Verordnung untersagt Jüdinnen und Juden nach dem Januar 1939 endgültig den Betrieb von Geschäften, Handwerksbetrieben, Handel und Dienstleistungen. Das Ziel der Nationalsozialisten, sie aus Deutschland zu vertreiben, ist auch in Hannover erfolgreich: Bis Kriegsbeginn flieht mehr als die Hälfte der jüdischen Wohnbevölkerung vor Schikanen und Entrechtung in das Ausland; zurück bleibt mit knapp 2000 Personen eine stark überalterte Gemeinde.

Das Modell enthält eine bewusste historische Unrichtigkeit: Die Neue Synagoge in der Calenberger Neustadt ist schon im November 1938 in der „Pogromnacht“ durch Brandstiftung vernichtet und kurz darauf abgerissen worden. Sie wird hier als Symbol gezeigt, um ihren Platz im Stadtbild zu markieren.

Am Ende: eine zerstörte Stadt

Der von den Nationalsozialisten ausgelöste Brand kommt innerhalb weniger Jahre zurück nach Deutschland. Bei Kriegsende ist Hannovers Innenstadt nach 88 Luftangriffen fast vollständig durch Bomben vernichtet. Die Zerstörung der Innenstadt liegt bei 90 Prozent aller Gebäude. Die Hälfte der Wohnungen Hannovers ist unbewohnbar. Unter den zerstörten Kirchen der Altstadt ist auch die Aegidienkirche, sie wird bewusst nicht wieder aufgebaut: Ihre ausgebrannte Hülle dient seit dem Jahre 1954 als zentrales Mahnmal für den Frieden in Hannover.

DP: Displaced Persons

Amerikanische Soldaten befreien bei ihrem Einmarsch in Hannover am 10. April 1945 ca. 42.000 Verschleppte: Zivile ZwangsarbeiterInnen, Kriegsgefangene, KZ-Häftlinge. Wie in ganz Deutschland, haben Ausländer aus allen besetzten Ländern auch in Hannover die Kriegswirtschaft am Laufen halten müssen. Bei Kriegsende ist nahezu jede/r fünfte EinwohnerIn zwangsweise in der Stadt. Das Schicksal dieser Displaced Persons („DPs“) wird am Erinnerungsort „Grotte“ wenige Meter von den Stadtmodellen entfernt vor dem Eingang zum Restaurant „Gartensaal“ dokumentiert.

Wiederaufbau? Neuaufbau!

Das Zentrum Hannovers entsteht überraschend schnell neu. Entscheidenden Anteil daran hat der Architekt und Planer Rudolf Hillebrecht als Stadtbaurat von 1948 bis 1975. Er sieht den Sieg des Individualverkehrs nach amerikanischem Vorbild voraus, und zieht daraus die Konsequenzen: Ein System von Schnellstraßen und Tangenten soll den Autoverkehr um die Innenstadt herum lenken, und sie gleichzeitig für Kaufwillige im Auto erreichbar machen. In den 1950er Jahren gilt dies als zukunftsweisend: Stadtplaner aus ganz Deutschland pilgern an die Leine, der „Spiegel“ titelt 1959 mit einem Porträt Hillebrechts unter dem Titel „Das Wunder von Hannover“.

Heute werden die autogerechten Schneisen durch die Stadt kritisch gesehen. Viele vom Krieg verschonte Häuser mussten ihnen weichen. Während sich Hillebrecht für den Wiederaufbau einiger zentraler Gebäude stark machte (Oper, Schloss, Wangenheimpalais…), galt ihm die Architektur der Jahrhundertwende („Gründerzeit“) als stil- und wertlos. Seine Kritiker werfen ihm die „zweite Zerstörung“ Hannovers vor.

Text Stadtmodelle_Hannover (PDF)

Weitere Informationen online

Wikipedia-Beitrag Rudolf Hillebrecht
Wikipedia-Beitrag Geschichte der Stadt Hannover
hannover.de Hannovers Geschichte in Zahlen

Vorschläge zur digitalen Erweiterung der Stadtmodelle

Interfraktioneller Antrag Antrag_0380-2020_Anlage1 (PDF)
Informationsdrucksache Stadtmodelle Informationsdrucksache 0380 2020 (PDF)
Konzeptvorschlag Digitale Ertüchtigung der Stadtmodelle (PDF)

Literatur Auswahl

Texte und Bildredaktion: Michael Pechel