ehemaliges „Judenhaus“ Herschelstraße

Erzwungene Umzüge: Mehr als 1.200 jüdische Bürgerinnen und Bürger Hannovers mussten nach einer städtischen Anordnung vom 3. September 1941 innerhalb weniger Stunden ihre Wohnungen verlassen. Sie wurden zwangsweise in 15 „Judenhäuser“ im Stadtgebiet eingewiesen. Das Wohnhaus Herschelstraße 31 war eines von ihnen.

Hannover: Ausweis von Ruth Gröne geb. Kleeberg aus dem Jahre 1944 mit der Eintragung "J" für "Jüdin" und dem Zwangsvornamen "Sara". Quelle Privatbesitz Ruth Gröne
Hannover: Ausweis von Ruth Gröne geb. Kleeberg aus dem Jahre 1944 mit der Eintragung "J" für "Jüdin" und dem Zwangsvornamen "Sara". Quelle Privatbesitz Ruth Gröne

„Aktion Lauterbacher“

Mitnehmen dürfen sie pro Person ein Bett, eine Kommode und einen Stuhl, etwas Wäsche, einige Kleidungsstücke und Geschirr – eben das, was auf den erlaubten drei Quadratmetern Platz hat. Was sie an Eigentum in ihren Wohnungen zurücklassen, wird von der Gestapo gesichert und in städtische Sammellager gebracht. Zweck dieser Maßnahme ist die Konzentration an wenigen Wohnorten, um vor der geplanten Deportation in die Ghettos und Vernichtungslager Osteuropas die totale Kontrolle über sie zu haben. Federführend bei den Planungen ist die NSDAP-Gauleitung unter Gauleiter Hartmann Lauterbacher. Die Umsiedlung erhält deshalb seinen Namen: “Aktion Lauterbacher”.

Fünfzehn „Judenhäuser“ im Stadtgebiet

Zu „Judenhäusern“ werden Häuser in jüdischem Privateigentum und öffentliche Einrichtungen der jüdischen Gemeinde Hannovers bestimmt: Altenheime, Krankenhäuser, Schulen, sogar eine Friedhofshalle. Die Verhältnisse in diesen Zwangsquartieren sind unmenschlich. Männer, Frauen und Kinder auf engstem Raum zusammengepfercht versuchen mit herabgehängten Decken und Bettlaken notdürftig, sich ein Stück Privatheit zu erhalten.

Nächtliche Razzien

Während die Bewohner tagsüber Zwangsarbeit in Betrieben Hannovers leisten müssen, herrscht in der Nacht ein strenges Ausgangsverbot. Deshalb dringen Gestapo-Beamte regelmäßig nachts zu Zählappellen und Razzien in die Häuser ein, es kommt zu Prügelorgien und sexuellen Übergriffen der häufig betrunkenen Männer.

Kind aus „Mischehe“

Besonders betroffen von den Überfällen sind die „Judenhäuser“ der Innenstadt Hannovers – darunter das Haus Herschelstraße 31. Hier leben Anfang Dezember 1941 zwangsweise ca. 150 jüdische Mieter. Nach der ersten Deportation aus Hannover am 15. Dezember 1941 vermindert sich ihre Zahl auf 60 bis 70 Menschen – in der Mehrzahl Ehepaare in „Mischehen“, denen jeweils ein Zimmer zugeteilt ist. Unter ihnen das elfjährige Mädchen Ruth Kleeberg mit ihrem jüdischen Vater und ihrer christlichen Mutter. Sie retten sich während des großen Bombenangriffs vom Oktober 1943 in eine nahe Eisenbahnunterführung.

Ermordet kurz vor Kriegsende

Nach ihrer Rettung aus dem brennenden Haus flüchtet Familie Kleeberg auf das Gelände der ehemaligen Israelitischen Gartenbauschule Ahlem zu weiteren „Mischehen“. Mutter und Tochter erleben dort die Befreiung Hannovers am 10. April 1945. Der jüdische Vater wird im Spätherbst 1944 wegen “Kriegswirtschaftsverbrechen” verhaftet – er hatte Erde nach Getreidekörnern für seine Hauskaninchen durchsiebt. Nun verbringt er, wenige Meter von seiner Familie entfernt, neun Wochen im Gestapo-Gefängnis Ahlem. Von dort wird Erich Kleeberg am 5. Februar 1945 in das Hamburger Konzentrationslager Neuengamme deportiert. Er stirbt unmittelbar vor Kriegsende im Lager Sandbostel bei Bremervörde.

Text Judenhaus_Herschelstraße (PDF)

Weitere Informationen online

Wikipedia-Beitrag: Judenhaus
Wikipedia-Beitrag Mischehe (Nationalsozialismus)
h1 | Fernsehen aus Hannover auf youtube: Ruth Gröne – Ein Zeitzeugenporträt aus der Zeit des Nationalsozialismus

Literatur: Auswahl

Texte und Bildredaktion: Michael Pechel