ehemaliges „Judenhaus“ Knochenhauerstraße

Für mehr als 1200 jüdische Hannoveraner – Frauen, Männer und Kinder – bringt der 3. September 1941 eine dramatische Verschlechterung ihrer Lebenssituation. Innerhalb weniger Stunden müssen sie ihre Wohnungen verlassen und in ein sogenanntes „Judenhaus“ umziehen. Als Hausrat gestattet ist ihnen nur ein Bett, Stuhl, Kommode, etwas Wäsche, einige Kleidungsstücke und Geschirr. Was sie an Eigentum zurücklassen, wird von der Stadtverwaltung, später den Finanzämtern beschlagnahmt.

Hannover: Knochenhauerstraße 61 (links), Fotografie von 1898. Bildarchiv Historisches Museum Hannover
Hannover: Knochenhauerstraße 61 (links), Fotografie von 1898. Bildarchiv Historisches Museum Hannover

Drei Quadratmeter pro Person

Ausgewählt sind 15 Standorte: jüdische Gemeindehäuser, Schulen, Altenheime sowie Häuser in Privatbesitz, in denen jetzt schon jüdische Mieter zusammengedrängt lebten. Denn seit dem Jahre 1939 ist der Mieterschutz für Juden aufgehoben und ihnen kann ohne Angabe von Gründen gekündigt werden: Ariern, so die gesetzliche Begründung, sei nicht zumutbar, mit Juden unter einem Dach zu leben. Viele Familien und Alleinstehende waren daher gezwungen, als Untermieter auf kleinsten Raum bei jüdischen Vermietern unterzukommen – Vorläufer der Ghettoisierung in „Judenhäusern“.

Ältestes „Judenhaus“

Das um 1620 entstandene und nur sechs Meter breite Fachwerkgebäude in der Altstadt ist das älteste und wahrscheinlich auch kleinste der hannoverschen „Judenhäuser“. Ein Geschoss hat nur ca. 70 Quadratmeter. Das Haus Knochenhauerstraße 61 war – vom Marstall aus gesehen – das fünfte Haus auf der linken Straßenseite ungefähr gegenüber der Einmündung „Goldener Winkel“. Die Hausnummern verlaufen heute vollkommen anders.

Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Hannovers Max Schleisner inspiziert einige der “Judenhäuser”, darunter auch das Haus Knochenhauerstraße. Alte Bausubstanz des Fachwerkhauses und Überbelegung bilden hier unerträgliche Wohnverhältnisse. Er schreibt dazu am 6. September 1941 in einem Bericht an die Berliner Reichsvereinigung der Juden in Deutschland RVJD: “Wanzen, Ratten. Toiletten vom hygienischen Standpunkt aus unmöglich. In einem nur 15qm großen Raum 4 Personen und ein Kind. Unter der Belegschaft ein schwer gelähmter Mann.”

Deportationen in Ghettos und Vernichtungslager

Ob noch in andere Stockwerke als die Parterre-Wohnung zu Anfang September 1941 Juden eingewiesen wurden, ist unbekannt. Insgesamt 53 jüdische Menschen werden von hier deportiert: 27 im Dezember 1941 nach Riga und 26 im Juli 1942 nach Theresienstadt. Danach hat es als „Judenhaus“ ausgedient. Das Gebäude wird während der Luftangriffe des Oktober 1943 zerstört.

Text Judenhaus_Knochenhauerstraße (PDF)

Weitere Informationen online

Wikipedia-Beitrag Judenhaus
Das jüdische Hamburg Judenhäuser

Literatur: Auswahl

Texte und Bildredaktion: Michael Pechel